Nordkorea: Warum „The Interview“ aktueller ist, als je zuvor!

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Eine gute politische Satire altert kaum. Wer eine Zeichnung aus der französischen Revolution betrachtet, wird auch noch heute auf den ersten Blick sehen, was die Menschen an ihren Machthabern auszusetzen hatten – vor allem, da diese Kritiken auch heute meist noch aktuell sind. Der Klassiker Wag the Dog mit Robert de Niro und Dustin Hoffman lässt sich auf beinahe jeden US-Präsidenten übertragen und beweist so seine Zeitlosigkeit. The Interview von Seth Rogan mit James Franco ist nicht nur derzeit aktueller als je zuvor, sondern fällt in die gleiche Kategorie der zeitlosen Klassiker, wie die erwähnten Beispiele. Dieser Beitrag erklärt warum!

Warnung: Dieser Beitrag enthält Spoiler und einer Satire muss immer ein größeres Maß an erzählerischer Freiheit eingeräumt werden (suspension of disbelieve). Deshalb klammert dieser Artikel die Szenen aus, die im Film nur für „billige“ Lacher vorkommen.

Die Genialität des Films beginnt ganz klar bei der Besetzung von James Franco als Dave Skylark. So wie Robert Englund wohl immer der einzig wahre Freddy Krueger und Johnny Depp der einzig wahre Captain Jack Sparrow bleiben wird, so wurde diese Rolle dem ansonsten eher mittelmäßigen James Franco buchstäblich auf den Leib geschrieben. Diese Idealbesetzung dient aber nicht nur der Unterhaltung, sondern hilft dabei, das eigentliche Thema des Films zu vermitteln: Realitätsblasen.

Dave Skylark (zu deutsch: Feldlerche – ein Vogel mit einem lange andauernden Gesang) lebt und singt in der realitätsfremden Welt des Hollywood Show-Biz. Seine gesamten Realitäts- und Moralvorstellungen lassen sich in Slogans und Trailern zusammenfassen. Dies geht sogar so weit, dass er sich den Mordanschlag auf den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un wie in einem Actionfilm mit kugelsicherer Weste und ballernden Pistolen vorstellt.

In einer Szene zählt Skylark Diktatoren mit ihren Nachnamen auf. „Einen Hitler, einen Un“ – im koreanischen wird der Nachname immer vorangestellt, weshalb der Nachname von Kim Jong-un eben Kim ist. Diese Fehlbezeichnung unterstreicht sehr subtil die Realitätsfremde des Protagonisten und wie wenig er die eigentliche Situation einzuschätzen weiß.

Die Realitätsblase von Skylark begegnet im weiteren Handlungsverlauf der Blase, die Kim Jong-un noch viel absoluter geschaffen hat. Dessen Blase wirkt nämlich viel uneingeschränkter auf ein ganzes Volk für seinen Machterhalt. So verwundert es kaum, dass sich beide Charaktere zunächst bestens verstehen. Sie verstärken ihre Blasen gegenseitig. Diese Verstärkung betrifft sogar ihre gegenseitigen Schwächen, welche sie subjektiv als Tiefe empfinden (Katy Perry, Vaterkomplexe, etc.). Viel mehr geht es jedoch um Oberflächlichkeiten, in denen sie sich gerne bestärken möchten: Sex, Drugs and Power over Opinions!

Die Szene auf dem Basketballfeld zeugt von guter Recherche. Kim Jong-un verbrachte nämlich seine Jugend in der Schweiz und spielte dort gerne Basketball.

Doch dann beginnt das Platzen (gemäß klassischer Filmtheorie das Ende von Akt 2). Ein Konflikt entsteht, da Skylark merkt, er wurde in vielerlei Hinsicht getäuscht. Kim Jong-uns Charakter und der Supermarkt waren nur ein Schauspiel. Gleichzeitig lässt auch die nordkoreanische Propagandafrau (Diana Bang) ihren Schutz und den Schutz des Regimes runterfahren, indem sie ihre Anziehung zu Seth Rogan (Aaron Rapaport – Rapaport begründete die Preisfindung von Diamanten) eingesteht.

Nun sind die Blasen auf jeder Seite geplatzt. Jetzt stellt sich die wichtige Frage: Wie geht es ohne Verschönerungen weiter? Wie geht die Lerche (Skylark) mit seiner Täuschung um? Wird sein Charakter sich wandeln? Wie viel Kritik verträgt ein Diktator in seiner Menschlichkeit? Die Antwort ist zutiefst menschlich: Eine Rückkehr in die eigene Comfort-Zone, ein Herbeisehnen der Blasen, die unsere Lebenswelten schützen.

Der Film scheut auch nicht diese Rückkehr. Sook wählt ihr Land über die Liebe. Skylark bekommt genau das Ende, das er sich vorgestellt hat (kugelsichere Weste, Tunnel, Navy Seals, etc.), nur Kim Jong-un wehrt sich so stur gegen seine Menschlichkeit, dass er das Platzen seiner Blase nicht überlebt.

Genau deshalb verwundert es kaum, dass Nordkorea per Hacks die Veröffentlichung des Films verhindern wollte. Die offizielle Begründung war der dargestellte Tod des koreanischen Machthabers. Viel beleidigender war jedoch die Darstellung seiner Menschlichkeit, welche allen gepflegten Mythen in Nordkorea widerspricht.

Genau dieses Spiel der Blasen lässt sich auf die aktuelle Situation zwischen Trump und Kim (zwei Nachnamen) und praktisch jede Art von Populismus vs. Diktatur umlegen. Beide stützen ihre Machtbasis auf vermeintliche Stärke, die nur in ihrer Realitätsblase existiert. Das Regime in Nordkorea existiert, weil es ständig das Fremde als Feindbild hochstilisiert. Seine atomare Kapazität stellt sein Säbelrasseln zum Schutz seiner Blase dar. Trump arbeitet mit dem gleichen Feindbild des „Fremden“. Doch bemerkt der US-Präsident nicht, wie sehr er durch das sture Verstärken seiner Blase auch die Scheinrealität von Kim Jong-un verstärkt. Beide stehen im Moment gerade auf dem Basketballfeld und spielen sich gegenseitig den Ball zu, wobei eigentlich das Platzen einer Realitätsblase die eigentliche Lösung wäre. Es bleibt nur die Frage, welches Platzen harmloser für die Welt ausgeht.

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