Wenn Wahrsagen so einfach wäre, hätte man vermutlich ab und zu eine Vision zur richtigen Zeit. Oder um es anders zu formulieren: Sarah M. Kempen öffnet erneut die Tore der Akademie Fortuna für uns.
[ Spoilerwarnung für Band 1&2, da wir auch diesmal direkt nach dem Ende des letzten Buches ansetzen.]
KLAPPENTEXT
Nachdem Sorry und ihre Freunde den Nekromantenjungen Ben aus den Fängen seines Vaters Mal Chievous und des Sterndeuters Taurus Astra befreit haben, ist die Gefahr, die von den beiden Männern ausgeht, keineswegs gebannt. Schließlich planen die beiden nichts Geringeres, als die Akademie Fortuna zu zerstören und sich über die gesamte Wahrsagerwelt zu erheben. Das wollen Sorry und ihre Freunde unbedingt verhindern. Kurz darauf finden sie eine geheimnisvolle Prophezeiung von Sorrys verstorbenem Vater, die besagt, dass vier Kinder die Welt der Wahrsager retten werden. Aber welche vier sind gemeint?
WAS IST ZU ERWARTEN?
Ben ist gerettet, also kann das Leben an der Akademie endlich wieder zur Normalität zurückkehren. Oder etwa doch nicht? Mal und Taurus sind noch immer auf der Suche nach dem mysteriösen Spirit’s End. Ausserdem war da ja noch Taurus‘ Behauptung, Mal zum Wahrsager machen zu können. Und was hat es eigentlich mit derProphezeiung und dem Brief von Sorrys Vater auf sich? Und dann wird kurzfristig auch noch ein neues Unterrrichtsfach in den Stundenplan eingebaut.
Es scheint, als würde es doch noch etwas dauern, bis die Kinder wieder einen ’normalen‘ Alltag erleben können.
Wie schon im letzten Buch baut Sarah M. Kempen auf ihrem bereits gelegten Fundament auf. Bekannte Charaktere wachsen als Personen, während die Welt sich erweitert. Zeitgleich bekommen wir neben neuen Informationen auch neue Charaktere. Das kann natürlich dazu führen,dass man von seinen persönlichen Favoriten weniger sieht, als man es gern hätte. Allerdings ist die erzählte Zeit auch diesmal wieder knapp gehalten,so dass wir zum Ende des Buches erst die Herbstferien von Sorrys ersten Schuljahr erreichen. Dadurch wird die Gefahr, dass Charaktere vergessen würden, automatisch eingedämmt.
THEMEN
Das Geheimnis der Vergangenheit verweist nicht nur im Titel auf frühere Ereignisse. Wer sich noch an Sorrys Strafarbeiten erinnert, wird vom neuen Unterricht nicht völlig überrascht sein. Auch das der neue Lehrer bereits einen Assisstenten auserkoren hat wurde bereits subtil eingeleitet. Und wer sich fragt,wer eigentlich „der Neue“ auf dem Cover ist, kann auch noch einmal die vorherigen Bände in die Hand nehmen.
Erfreulicherweise scheint auch die Verwaltung der Akademie aus der Vergangenheit zu lernen: Die gehörlose Arkana bekommt jetzt Gebärden-Dolmetscher an die Seite gestellt, eine Unterstützung, die bisher an Traditionsvernarrtheit scheiterte.
Das Wahrsager nahezu immer als Wahrsager arbeiten, und ausser dem Hausmeister Nichtseher eigentlich keinen Zutritt an die Akademie bekommen, stand dem bisher im Wege. Doch Batons Wutanfall im Präsentationsunterricht scheint nun Früchte zu tragen. Als Erziehungsperson schätze ich diesen Verlauf der Ereignisse in einem Kinderbuch besonders. Das man nie zu jung ist, um gegen Ungerechtigkeit zu protestieren -gerne auch lautstark- ist eine wichtige Botschaft für junge Leser. Entsprechend hat mich der Erfolg hier besonders gefreut.
Aprospos kindliche Lebenswelt: Ebenso wichtig -wenn auch weniger erfreulich- ist der Umgang mit dem Thema Familie. Nachdem Taurus und Mal als nicht wünschenswerte Väter erleben durften, erfahren wir diesmal noch ein wenig mehr über Sorrys Eltern. Offenbar haben die beiden eher aus einem Pflichtgefühl heraus eine Familie gegründet. Da auch in unserer Welt leider nicht nur glückliche Familien existieren, ist die Darstellung einer solchen ohne automatischen Villain-Status ein wichtiges Detail, besonders mit der enthaltenen Kritik am sturen Aufrechterhalten von alten Traditionen.
Wir lernen ausserdem ein wenig mehr über Missy. Sorry wird direkte Zeugin, wie ihre quierlige Freundin unter Nichtsehern einen etwas anderen Stand hat, als sie vermutlich erwartet hatte. Ausgrenzung und Missgunst sind Teilgründe, wieso Missy häufig während der Schulzeit durch die Geheimgänge stromert. Als Sorry davon erfährt, bekommt sie zudem gleich noch eine Lektion in Verantwortung und innerer Größe von ihrer besten Freundin. Manchmal sind es de,die man eigentlich schützen will, die einen davon abhalten, zu weit zu gehen.
Wer ausserdem unerwartete Nuancen zeigt, ist ausgerechnet Estrella. Ursprünglich hatte sie eine eher hochnäsige,antagonistische Rolle, ehe im letzten Buch ihr Redemption-Plot begann. Dieser setzt sich nun fort, und auch wenn gelegentlich Aspekte ihres alten Selbsts durchscheinen, macht sie Fortschritte, ehe sie in unerwartetem Ausmaß übersich hinaus wächst.
Der Teamwork-Aspekt kommt auch hier wieder zum tragen. Die Gruppe wächst nicht nur in der Kopfzahl, sondern auch in der Bereitschaft, füreinander einzustehen. Ausserdem sehen die Kinder ein, dass sie nicht alles allein lösen müssen, geschweige denn können. Das führt zwar teilweise zum „Erwachsene sind nutzlos„-Trope, aber es werden dennoch auch ungeahnte Ressourcen aufgetan.
MEINUNG
Akademie Fortuna – Das Geheimnis der Vergangenheit ist eine gelungene Nachfolge. Die Kinder lernen aus ihren Fehlern und versuchen sich zu verbessern. Vertrauen, Offenheit, oder einfach um Hilfe bitten sind alles Talente, bei denen wir Sorry über drei Bücher zusehen konnten, wie sie sie meistert. Dadurch ist es ihr nun auch möglich, Ziele zu erreichen, die -in jeder Hinsicht- weiter entfernt liegen.
Stilistisch bleibt Sarah M. Kempen sich auch diesmal treu. Die Namen allein machen das Lesen zu einem Erlebnis. Manche entpuppen sich im Nachhinein als eigentlich recht frühen Hinweis, was von einer Person oder einem Ort zu erwarten ist, während andere eine falsche Fährte legen (Was tut Earl Grey in einem Wahrsager-Setting?). Und auch diesmal haben Entscheidungen Konsequenzen, die nicht immer eindeutig in die eine oder andere Richtung ausschlagen.
Zudem bleibt die Autorin ihrem Grundsatz treu, dass Horror’s Cope in einer bunten Welt existiert. Die unerwartete Romanze zählt diesmal etwas mehr in den Gesamtplot als zuletzt Arkanas Identität oder Orbis Präferenzen. Trotzdem wird sie insgesamt einfach als Fakt behandelt, ehe die aktuellen Ereignisse weitergehen, ohne das die Details unnötig diskutiert werden.
wie bereits erwähnt wurden einige der Plotelemente bereits in der Vergangenheit angedeutet, wodurch die Story angenehm strukturiert wirkt. Doch auch diesmal schützt das den Leser nicht vor einer dramitischen Wende am Ende. Die Autorin packt ihre Charaktere nicht in Watte, wenn sie stattdessen zeigen kann, wie weit jemand bereit ist, für seine Pläne zu gehen.
Ansonsten kann ich nur empfehlen, auch dieses Buch mit Kindern zu lesen, zu denen ihr Zugriff habt(Wenn ihr mir nicht glaubt, es gibt wieder eine Leseprobe). Ich durfte quasi unmittelbar nach dem Erhalt meines Exemplars damit anfangen, und sie fordern mehr.
Illustriert wurde das Werk einmal mehr von Alicia Räth. Sie haucht der Welt in und um Horror’s Cope visuell ansprechendes Leben ein, so dasss man sich fast eine Comicadaption wünscht. Auch meine Lesekinder wollten gleich zu Beginn wieder wissen, ob es „wieder so coole Bilder“ gibt.
Die Charakterentwicklung ist eventuell der einzige Punkt, an dem man den kurzen Zeitraum der Ereignisse bemängeln könnte. Sorrys Eintwicklung innerhalb des Plots eines Buches ist absolut nachvollziehbar. Wenn man dagegen das Gesamtbild betrachtet und sieht, wie weit sie in recht kurzer Zeit kam, könnte ihr persönlicher Fortschritt etwas schnell wirken.
Trotzdem hoffe ich inständig auf eine Fortsetzung, in der gewisse Charaktere die jüngsten traumatischen Erlebnisse verarbeitet werden können.
Cover und Klappentext © Schneiderbuch Verlag
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