Übung macht den Meister, und auch ein mystisches Handwerk wie das Wahrsagen will gelernt sein. Angehende Wahrsager können sich glücklich schätzen, dass die Akademie Fortuna einen entsprechend spezialisierten Lehrplan anbietet.
KLAPPENTEXT
Als Anniversary „Sorry“ Fortune ihren ersten Tag an der Akademie Fortuna, der Schule für Wahrsagerei, hat, erwarten alle Großes von ihr: Sie soll zeigen, dass auch sie bedeutende Vorhersagen machen kann, schließlich stammt sie aus der mächtigsten Visionisten-Familie von Horror’s Cope. Nur leider gibt es da ein Problem: Sorrys Visionen sind anders. Statt großer Schicksale sieht sie nur kleine Alltagsdinge voraus. Dass jemandem eine Birne auf den Kopf fallen wird, zum Beispiel. Doch damit ihre Mutter die Schulleitung der Akademie Fortuna nicht an die fiese Sterndeuterfamilie Astra verliert, muss Sorry unbedingt Schulbeste werden. Zum Glück stehen ihr die durchgeknallte Nichtseherin Missy Hap und Sorrys mysteriöser Mitschüler Ben Dulum unterstützend zur Seite!
WAS IST ZU ERWARTEN?
Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich mit Wahrsagerei und anderen prophetischen Konzepten immer etwas schwer tat. Ich bin nie wirklich mit dem Gedanken an Vorherbestimmung oder Schicksal warm geworden, und „Freier Wille“ und „Prophezeiung“ fühlten sich immer etwas gegensätzlich an.
Dennoch hat mich Sarah M. Kempens Debüt schnell eingefangen. Kinder- und Jugendbücher über Magie mögen das Rad nicht neu erfinden, aber Wahrsagerei als zentrales Thema ist angenehm innovativ. Andere Settings würden Wahrsagen vermutlich eher als ein Fach unter vielen behandeln, die Akademie Fortuna dagegen hat sich dem Thema exklusiv verschrieben. Tatsächlich ist Wahrsagerei die einzige Magie-Form, die im ersten Band auch nur erwähnt wird. Dafür hat die Autorin hier aber ausgiebige Recherche betrieben: 9 verschiedene Wahrsage-Disziplinen sind vertreten und erklärt. Besonders interessant ist dabei der Verweis auf die ausgelöscht geglaubte Nekromantie. Der eingefleischte Rollenspieler in mir denkt bei dem Begriff natürlich an die Kreation und Kontrolle von Untoten. Tatsächlich lässt sich mit kontaktierten Geistern natürlich mehr anfangen, wie Weissagungen via Ouijaboard oder Pendel.
Das Kurrikulum der Akademie sieht jedoch nicht nur die Anwendung der Kunst vor, sondern bietet auch Raum für Aspekte wie Rhetorik und Präsentation. Die Zukunft sehen zu können ist an sich nicht schlecht, aber eine unsicher vorgetragene Vorhersage überzeugt im Zweifelsfall wenig. Ein weiterer positiver Aspekt der Akademie Fortuna ist die Einbindung von Allgemeinwissen in den Lehrplan. Gerade in einem modernen Setting wirken Zauberschulen ohne normalen Unterricht wie eine schlechte Idee. Hier kümmert Herr Meier sich darum, dass Grammatik, Mathe und Naturwissenschaften gelernt werden.
Dass der Lehrer für vergleichsweise unspektakulären Stoff einen eher ‚langweiligen‘ Namen hat, ist übrigens kein Zufall. Die Autorin hat viel Spaß an der Vergabe amüsanter und bedeutungsvoller Namen. Dies zeigt sich schnell bei unserer Protagonistin Sorry Fortuna und ihren Freunden Ben Dulum und Missy Hap. Doch auch andere Charaktere fallen in das Schema, wie die Kaffeesatz lesende Aroma Beans oder der Traumdeuter Sigmund Night. Sehr schön fand ich auch die Astrologin mit Spezialität für Wettervorhersagen, bekannt als Joy Fullday. Und wie könnte eine Stadt mit Schwerpunkt aufs Wahrsagen heißen, wenn nicht Horror’s Cope?
THEMEN
Der Grundstein für Akademie Fortuna wurde gelegt, als Autorin Sarah M. Kempen auf die Idee kam, ein Mädchen namens Sorry mit Blick in die Zukunft zu schreiben. Dass um Sorry herum eine Geschichte über Erwartungen, Vorurteile und Akzeptanz wachsen würde, hatte sie damals nicht erwartet. Gerade die Familien Fortune und Astra legen großen Wert auf „Familienehre“. Entsprechend ist die Erwartung an Sorry, dass sie ihr Talent entwickelt und endlich ‚bedeutungsvolle‘ Visionen hat.
Zeitgleich steht ihre Wahl an Freunden in starker Kritik. Missy wird als Nichtseherin zwar nicht als Mensch zweiter Klasse gesehen, viele Wahrsager blicken aber dennoch auf sie herab. Das sie zeitgleich einen exzentrischen Querkopf hat, macht sie nicht wirklich zu einem willkommeneren Umgang. Ben ist als Nekromant vermutlich noch schlimmer dran. Nicht nur, dass seine Kunst effektiv ausgelöscht ist, sie hat vor Allem einen schlechten Ruf. Die Ereignisse, die dazu führten liegen Generationen zurück, aber das ändert natürlich nichts an seinem Ruf.
Letzten Endes sucht Sorry jedoch nicht nur die Akzeptanz ihrer Mitschüler und Mutter, sondern auch ihre eigene. Sicher, Visionen von großen Ereignissen in der Zukunft mögen sehr relevant scheinen. Aber reduziert das die Wichtigkeit aus einer Warnung, dass in wenigen Augenblicken etwas auf jemanden herab fällt, wenn man dem Opfer rechtzeitig zu einem Helm raten kann?
Andere Charaktere sind Sorry in Punkto Selbstakzeptanz bereits einen Schritt voraus: Missy ist zwar ’nur‘ eine nicht-sehende Tochter des Hausmeisters, aber sie ist auch die größte Frohnatur in der Akademie. Sie hat ihren eigenen Kopf und ordnet sich den Sehern nicht unter. Sie ist mit sich im Reinen, und die größte Erwartung, die sie an sich stellt ist, ihren Vater nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Ein ähnliches Gefühl vermittelt auch Arkana Pentacle, eine gehörlose Karten-Leserin. Mit bunten Strähnen und einem ungewöhnlichen Tarot-Deck scheut sie sich nicht, gleich bei ihrer Einschulung ein Smartphone als Kommunikationshilfe zu zücken, der eher traditionellen Wahrsager-Gesellschaft zum Trotz. Zudem scheut sie sich weder, anderen ihre Meinung zu sagen, noch sich dafür zu entschuldigen, falls sie dabei Grenzen überschreitet.
MEINUNG
Akademie Fortuna – Wenn Wahrsagen So Einfach Wäre zu lesen ist eine Freude. Die Namensgebung sorgt für wiederholte Lacher, und zeigen viel Liebe zum Detail.Die Wahrsager-Disziplinen sind gleichermaßen gut recherchiert und der Zielgruppe angemessen erklärt. Die Welt ist sauber, macht allerdings auch neugierig darauf, was außerhalb von Horror’s Cope liegt. Die Stadt selbst und vor Allem die Akademie sind sinnvoll aufgebaut, eine schöne Mischung aus abgeschieden traditionell und in Touch mit der modernen Welt.
Für Erwachsene Leser mag der Verlauf des Plots stellenweise vorhersehbar sein, allerdings würde ich 10-jährigen Lesern auch keinen Kojima-esquen Meta-Plot zumuten. Sorry ist eine angenehme Protagonistin, die ausgeglichen die Welt um sie herum beeinflusst und von ihr geformt wird. Ben geheimnisvoller Hintergrund und Missy Exzentrik sind dafür eine gute Ergänzung.
Lediglich Kartenleserin Arkana lässt ein wenig zu wünschen übrig, ein wenig Präsenz um genau zu sein. Ihre Anwesenheit ist recht gering, aber was wir von ihr sehen, wirkt interessant. Ich hoffe inständig, dass ihre Rolle in der Fortsetzung ausgebaut wird.
Alles in Allem würde ich Akademie Fortuna auch zum Zweck der Leseförderung für junge Leseratten, und solche die es noch werden können, empfehlen. Frei nach ‚Schuster, bleib bei deinen Leisten‘ habe ich bei Literatur für junge Leser auch immer die Eignung zur Literacy-Erziehung im Hinterkopf, und dieses Buch besteht den Test. Wenn ihr also mit Kindern oder Jugendlichen zu tun habt, nehmt Akademie Fortuna in die Hand und lest es gemeinsam.
Cover und Klappentext © Schneiderbuch Verlag
Der 2. Band ist für den 24.8.2021 angekündigt. Versäumt es bis dahin nicht, euer Lesehoroskop zu überprüfen.
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